… ist schon über einen Monat her und in der Zwischenzeit ist
schon wieder so viel passiert. Ich bin nach Ulm gezogen, das Semester hat
begonnen und der Blogeintrag über das Seminar ist entsprechend auf der Strecke
geblieben. Aber jetzt kommt er ja:
Am Mittwoch den 25.09. reisten wir alle an. Wir kamen aus
ganz Deutschland, gerade zurückgekehrt aus der weiten Welt, genauer gesagt aus
Lateinamerika oder Asien, da es für die Afrika-Freiwilligen aus Platzgründen
ein eigenständiges Seminar gab. Seminarort war einmal wieder ein
Selbstverpflegungshaus bei Kassel – bedeutet: selber kochen (gerne scharf wie
im Gastland), alles bio, vegetarisch und Fairtrade und 24/7 geöffnete
Kühlschränke und Vorratskammern! J
Den ersten Tag begannen wie mit Kennenlernspielen. Etwa die Hälfte der Freiwilligen kannte ich
schon aus der Vorbereitung oder sogar aus unserer gemeinsamen Zeit in Mexiko
und es war schön sie wiederzusehen, sei es, um sich über unterschiedliche
Erfahrungen in unterschiedlichen Ländern auszutauschen oder unter uns unsere
Mexiko-Zeit wiederaufleben zu lassen. Und wen ich noch nicht kannte, den oder
die habe ich eben in den fünf Tagen kennengelernt.
Der zweite Tag begann mit der Frage: Wie verlief mein Jahr?
Wir trafen uns in Kleingruppen, fertigten jeder seine eigene Collage in Form
einer Stimmungskurve an und hatten anschließend Zeit, diese vorzustellen. Das
hat zwar Spaß gemacht, aber ob es jetzt so viel gebracht hat… naja.
Nach der Mittagspause schloss sich eine Reflexions- und
Kritikrunde bezüglich des weltwärts-Programmes und der verschiedenen Akteure,
sprich Entsendeorganisation, Partnerorganisation im Gastland, Einsatzstelle
oder aber übergeordneter Instanzen wie dem BMZ oder der deutschen Botschaft an.
Diese Runde bewerte ich als sehr positiv, da ich mich sehr ernst genommen
fühlte mit den Problemen, die das Jahr über auftraten. Schön fand ich auch in
diesem Zusammenhang zu erfahren, dass es bald auch ein umgekehrtes
weltwärts-Programm geben soll, in dem Freiwillige aus den Partnerländern nach
Deutschland kommen.
Der Film-Abend wurde aufgrund extrem verkratzter DVDs leider
zum Flop.
Und so sind wir schon bei Tag 3. Der Morgen des zweiten
Tages lag unter dem Motto der Selbstreflexion. Was habe ich gelernt? Wie habe
ich mich entwickelt? Was nehme ich mit? Wie war meine Ankunft in Deutschland? –
Themen die mich derzeit beschäftigen (oder es zumindest bis zum Seminar taten,
hier in Ulm bin ich gerade wieder viel zu beschäftigt dafür) und wie ich sie ja
schon mehrmals im Blog in Worte zu fassen versucht habe. Interessant an dieser
Besprechung in Kleingruppen, war zum einen, dass wir uns aufgrund ähnlicher
Erfahrungen gegenseitig sehr gut zuhörten und uns verstehen konnten aber auch
die Erkenntnis, dass es manchen auch sehr anders ergeht. So hat eine
Freiwillige erzählt, dass sie sie zurück in Deutschland viel glücklicher ist
als sie es im Gastland war, andere werden sofort wieder ins Gastland zurück
fliegen und wieder andere schotteten sich bei ihrer Ankunft in Deutschland
total ab oder waren zunächst sehr passiv, wie ich es auch bei mir beobachtet
habe.
Am Nachmittag ging es weiter mit Reflexion, diesmal im
globalen Kontext. Wir diskutierten über Energie, Umwelt und Konsum, über
Religion und Werte, über Bildung, über Armut und über noch viel mehr. Das war
sehr interessant, auch wenn ich viel zu wenig zu Wort kam. Die anschließende
Methode, in der wir als „Generation der Wende zu einer gerechteren und
ökologischeren Welt“ von interessierten und dankbaren aber leider stummen
Zukunftsmenschen zu unserem Beitrag befragt wurden überforderte mich
allerdings. Nur die Rolle als stummer Zukunftsmensch lag mir ganz gut.
Am Abend lag Info-Material für weiterführendes Engagement
als weltwärts-Rückkehrer_in aus und ich schrieb mir einige Internetadressen
auf, nicht zuletzt auch von einer Organisation, die auch eine Regionalgruppe in
Ulm hat. Sollte sich da mal eine Mitarbeit ergeben steht das bestimmt auch
wieder hier im Blog (also immer schön weiter anklicken, und wenn‘s nur einmal
im Monat ist!) In einer kleineren Gruppe blieben wir noch lange gemeinsam
sitzen, und unterhielten uns unter anderem auch über eigenes Engagement für
Nachhaltigkeit. In dem Zusammenhang möchte ich euch mal eben Ecosia vorstellen,
eine CO² neutrale Suchmaschine (ja googeln produziert CO², riesige Server
wollen ja irgendwie betrieben werden), die ich seitdem nutze. Ebenso wie andere
Suchmaschinen verdient auch diese Geld durch Werbeanzeigen, steckt sie jedoch
zu 80% in ein Wiederaufforstungsprojekt. Ein Zähler zeigt dir an, wie viele
Bäume schon gepflanzt wurden (gerade sind es 92.920) und wie viele davon mit
deiner Hilfe (das sind bei mir bereits 720).
Es folgte Tag 4, der mich wohl am meisten zum Nachdenken
anregte. Thema des Vormittags war das Berichten über unser Jahr. Das hat mich
zum einen angeregt wieder mehr zu erzählen, als die Antwort über die übliche
Frage „wie war‘s?“, und vielleicht einen Foto- und Erzählabend für Familie,
Freunden und insbesondere meinen Förderkreis zu veranstalten. Wie ihr die Idee
findet könnt ihr hier ja gerne kommentieren…
Zum anderen wurde ich aber auch zum Nachdenken angeregt,
durch das erneute Thema Rassismus, das schon in der Vorbereitung auf dem
Programm gestanden hatte. Meine Definition – und ich schätze so ist die
Definition der meisten Menschen die sich mit diesem Thema nicht tiefer befasst
haben – war die Ausübung von physischer oder psychischer Gewalt gegenüber Anderen
aufgrund deren Herkunft, Hautfarbe, Religion, etc. Fazit: Ich bin eindeutig kein
Rassist und ich schätze du der das gerade hier liest wahrscheinlich auch nicht.
Eine etwas komplexere, vollständigere Definition von Rassismus, mit der wir uns auf
dem Seminar beschäftigten geht jedoch viel weiter. Rassismus ist ein Abgrenzen
zweier Gruppen durch Zuschreiben bestimmter (gegensätzlicher und gewerteter) Eigenschaften.
Dabei wird jemand, den wir (ja wir, auch ich und du) in die als „anders“
betrachtete Gruppe einordnen, nicht als Individuum gesehen sondern als Element
der Gruppe verallgemeinert. Außerdem schließen die Eigenschaften der beiden
Gruppen einander gegenseitig aus. So kann ein Schwarzer/eine Schwarze nicht
deutsch sein… Hast du noch nie Schwarzen/eine Schwarze gesehen und dich gefragt
wo er/sie herkommt? Ich schon. Hättest du Stuttgart/Leipzig/Rödermark… als
Antwort gelten lassen? Ups, rassistische Struktur in meinem eigenen Denken
entdeckt. Und noch mehr davon gibt es im alltäglichen Sprachgebrauch: Was ist beispielsweise
der Unterschied zwischen einem Einheimischen und einem Bürger? – die Assoziationen,
die die Wörter hervorrufen. Beim Wort Einheimischer denke ich an Menschen,
deren Verhalten und Traditionen ich nicht teile oder verstehe, die in
primitiven Verhältnissen leben, vielleicht in einer Hütte, im ländlichen Raum.
Ein Bürger, der hat Bürgerrechte. Seine Hütte nenne ich ein Haus und er wohnt in
der Stadt. Er feiert Weihnachten, er isst mit Messer und Gabel. Das als
Tradition zu beschreiben kommt mir nicht in den Sinn, ist doch ganz normal. Würde
ich einen Weißen einen Einheimischen nennen? Nein, weil es nicht in das
schwarz-weiß-Muster passt, das in unseren Köpfen existiert, auch wenn wir das
vielleicht gar nicht wollen.
Ich muss zugeben mich macht diese Rassismusdiskussion immer
total fertig. Wenn ich mich darauf einlasse, merke i ch, wie sehr auch mein
Denken rassistisch geprägt ist. Kann das denn sein, wenn ich mich als
toleranten, weltoffenen Menschen sehe?!? Abwehrmechanismen (Nö, ich bin nicht
rassistisch!) setzen gleichzeitig ein mit dem Bedürfnis meinen ganzen Blog zu
überarbeiten und den Rassismus auszumerzen. Wie Rassismus in meinem Blog? Der
ist doch so schön authentisch! Nein, denn jeder Bericht ist subjektiv und
geprägt vom persönlichen und kulturellen Hintergrund, also auch von rassistischen
Denkmustern. Und trotzdem habe ich oft
von Mexiko gesprochen, als wäre ich eine Expertin, obwohl ich doch auch nur in
begrenzter Zeit einen begrenzten Ausschnitt dieses Landes kennengelernt habe
und das Land sowieso ganz anders wahrgenommen habe, als jemand der dort geboren
wurde. Und wie oft habe ich Mexiko (oder den mir bekannten Teil davon)
exotisiert, ihm positive Eigenschaften zugeschrieben, es scheinbar aufgewertet,
doch gleichzeitig von dem was für mich „deutsch“ ist abgegrenzt, ein ganzes
Land reduziert auf Spontanität, Wärme und ländliche Idylle?
Das sind nur einige Beispiele, die kurz Anreißen sollen, was
wir auf dem Seminar an Material gelesen haben und welche Gedanken ich mir dazu
gemacht habe. Ich bin auch unsicher, ob der Ansatz bzw. das Problem klar
geworden ist . Ich freue mich aber über Nachfragen und Diskussionen zu dem
Thema, gerne privat oder auch hier im Blog, denn ich will versuchen mich damit
bewusster auseinanderzusetzen, anstatt mich darauf auszuruhen, von Rassismus
nicht beeinträchtigt zu sein.
Das sollte jedoch nicht das einzige Thema sein, das mich an
diesem Tag bewegte. Denn am Nachmittag hielt Mai, eine der Freiwilligen, einen
Workshop zum Thema Welthunger beziehungsweise dessen strukturellen Ursachen ab.
Es ging um Lebensmittelspekulationen an der Börse, die zu tatsächlich
mörderischen Preisschwankungen führen, um europäische Agrarsubventionen, durch
die diese Produkte außerhalb Europas günstiger also attraktiver werden als
lokale Produkte und somit lokale Märkte zerstören. Es ging um die mit Krediten
vom internationalen Währungsfond
verbundenden Verpflichtungen zum Öffnen des Marktes, von dem wiederum vor allem
der globale Norden (weithin als Industrienationen bekannt) profitiert, aber
auch um den steigenden Fleischkonsum, denn um 1kg Fleisch zu produzieren,
braucht es etwa 16kg Getreide und noch viel mehr Wasser. Nahrungsmittel, die
viel effektiver genutzt wären, würden sie direkt verzehrt. Hauptaussage der
Präsentation: Hunger muss nicht sein. Die Rohstoffe auf der Erde reichen aus um
die gesamte menschliche Bevölkerung zu ernähren. Das Problem liegt also in der
Verteilung, in der der globale Norden zum eigenen Vorteil überproportionale
Anteile abgreift.
Nach einem solchen Tag war dann abends erst einmal Abschalten
angesagt. Das Seminar sollte wie immer mit einer Party beendet werden. Musik
aus unserer Zeit in Mexiko versetzte mich zeitweise zurück nach dort.
Doch schon kam Tag 5 – Putztag! Und leider auch
Abschiedstag. Ich hoffe allerdings, dass es bei vielen, vor allem der
Mexiko-Truppe, nicht das letzte Mal gewesen sein wird, dass wir uns sehen, auch
wenn der offizielle Teil des weltwärts-Programmes mit diesem Seminar
abgeschlossen ist.
Und wie geht es mir danach? Wie geht es weiter mit der
Entwicklungspolitik und mir? So ganz weiß ich das auch noch nicht. Während des
Seminars habe ich mich gefühlt wie ein Schwamm, der alles an Informationen,
Ansätzen und Ideen mitgenommen hat, das sich anbot, wie man vielleicht auch an
diesem Blogeintrag merkt. Und jetzt? Jetzt bin ich doch noch nicht zu viel
gekommen. Nun gut, ich habe meinen Fleischkonsum drastisch heruntergefahren,
wer weiß vielleicht werde ich sogar demnächst komplett Vegetarierin. Weiter
informiert zum Thema Welthunger oder Rassismus habe ich mich (noch) nicht, und
am Seminar, zur Ausbildung zum weltwärts-Seminarleiter habe ich mich aus
Zeitgründen auch nicht angemeldet, das möchte ich aber bei der nächsten
Gelegenheit nachholen. Bei der Regionalgruppe, von der ich, wie hier im Eintrag
berichtet, auf dem Seminar erfahren hatte, habe ich mich gemeldet. Die „Gruppe“
besteht derzeit allerdings nur aus einem Mitglied, da die anderen weggezogen
sind. Aber wer weiß vielleicht entwickelt sich daraus ja doch noch etwas. (Wenn ja steht‘s hier zuerst!) Und dann bleibt
da ja noch die Idee, einen Bilder- und Erzählabend zu veranstalten… ich bleibe
dran. Genauso wie an Mexiko. Mit meinen Gastfamilien und Freunden stehe immer
noch in Kontakt und ich freue mich auf den Tag an dem es mich erneut nach
Michoacán verschlägt.