Donnerstag, 7. November 2013

Das Nachbereitungsseminar

… ist schon über einen Monat her und in der Zwischenzeit ist schon wieder so viel passiert. Ich bin nach Ulm gezogen, das Semester hat begonnen und der Blogeintrag über das Seminar ist entsprechend auf der Strecke geblieben. Aber jetzt kommt er ja:

Am Mittwoch den 25.09. reisten wir alle an. Wir kamen aus ganz Deutschland, gerade zurückgekehrt aus der weiten Welt, genauer gesagt aus Lateinamerika oder Asien, da es für die Afrika-Freiwilligen aus Platzgründen ein eigenständiges Seminar gab. Seminarort war einmal wieder ein Selbstverpflegungshaus bei Kassel – bedeutet: selber kochen (gerne scharf wie im Gastland), alles bio, vegetarisch und Fairtrade und 24/7 geöffnete Kühlschränke und Vorratskammern! J

Den ersten Tag begannen wie mit Kennenlernspielen.  Etwa die Hälfte der Freiwilligen kannte ich schon aus der Vorbereitung oder sogar aus unserer gemeinsamen Zeit in Mexiko und es war schön sie wiederzusehen, sei es, um sich über unterschiedliche Erfahrungen in unterschiedlichen Ländern auszutauschen oder unter uns unsere Mexiko-Zeit wiederaufleben zu lassen. Und wen ich noch nicht kannte, den oder die habe ich eben in den fünf Tagen kennengelernt.

Der zweite Tag begann mit der Frage: Wie verlief mein Jahr? Wir trafen uns in Kleingruppen, fertigten jeder seine eigene Collage in Form einer Stimmungskurve an und hatten anschließend Zeit, diese vorzustellen. Das hat zwar Spaß gemacht, aber ob es jetzt so viel gebracht hat… naja.

Nach der Mittagspause schloss sich eine Reflexions- und Kritikrunde bezüglich des weltwärts-Programmes und der verschiedenen Akteure, sprich Entsendeorganisation, Partnerorganisation im Gastland, Einsatzstelle oder aber übergeordneter Instanzen wie dem BMZ oder der deutschen Botschaft an. Diese Runde bewerte ich als sehr positiv, da ich mich sehr ernst genommen fühlte mit den Problemen, die das Jahr über auftraten. Schön fand ich auch in diesem Zusammenhang zu erfahren, dass es bald auch ein umgekehrtes weltwärts-Programm geben soll, in dem Freiwillige aus den Partnerländern nach Deutschland kommen.

Der Film-Abend wurde aufgrund extrem verkratzter DVDs leider zum Flop.

Und so sind wir schon bei Tag 3. Der Morgen des zweiten Tages lag unter dem Motto der Selbstreflexion. Was habe ich gelernt? Wie habe ich mich entwickelt? Was nehme ich mit? Wie war meine Ankunft in Deutschland? – Themen die mich derzeit beschäftigen (oder es zumindest bis zum Seminar taten, hier in Ulm bin ich gerade wieder viel zu beschäftigt dafür) und wie ich sie ja schon mehrmals im Blog in Worte zu fassen versucht habe. Interessant an dieser Besprechung in Kleingruppen, war zum einen, dass wir uns aufgrund ähnlicher Erfahrungen gegenseitig sehr gut zuhörten und uns verstehen konnten aber auch die Erkenntnis, dass es manchen auch sehr anders ergeht. So hat eine Freiwillige erzählt, dass sie sie zurück in Deutschland viel glücklicher ist als sie es im Gastland war, andere werden sofort wieder ins Gastland zurück fliegen und wieder andere schotteten sich bei ihrer Ankunft in Deutschland total ab oder waren zunächst sehr passiv, wie ich es auch bei mir beobachtet habe.

Am Nachmittag ging es weiter mit Reflexion, diesmal im globalen Kontext. Wir diskutierten über Energie, Umwelt und Konsum, über Religion und Werte, über Bildung, über Armut und über noch viel mehr. Das war sehr interessant, auch wenn ich viel zu wenig zu Wort kam. Die anschließende Methode, in der wir als „Generation der Wende zu einer gerechteren und ökologischeren Welt“ von interessierten und dankbaren aber leider stummen Zukunftsmenschen zu unserem Beitrag befragt wurden überforderte mich allerdings. Nur die Rolle als stummer Zukunftsmensch lag mir ganz gut.

Am Abend lag Info-Material für weiterführendes Engagement als weltwärts-Rückkehrer_in aus und ich schrieb mir einige Internetadressen auf, nicht zuletzt auch von einer Organisation, die auch eine Regionalgruppe in Ulm hat. Sollte sich da mal eine Mitarbeit ergeben steht das bestimmt auch wieder hier im Blog (also immer schön weiter anklicken, und wenn‘s nur einmal im Monat ist!) In einer kleineren Gruppe blieben wir noch lange gemeinsam sitzen, und unterhielten uns unter anderem auch über eigenes Engagement für Nachhaltigkeit. In dem Zusammenhang möchte ich euch mal eben Ecosia vorstellen, eine CO² neutrale Suchmaschine (ja googeln produziert CO², riesige Server wollen ja irgendwie betrieben werden), die ich seitdem nutze. Ebenso wie andere Suchmaschinen verdient auch diese Geld durch Werbeanzeigen, steckt sie jedoch zu 80% in ein Wiederaufforstungsprojekt. Ein Zähler zeigt dir an, wie viele Bäume schon gepflanzt wurden (gerade sind es 92.920) und wie viele davon mit deiner Hilfe (das sind bei mir bereits 720).

Es folgte Tag 4, der mich wohl am meisten zum Nachdenken anregte. Thema des Vormittags war das Berichten über unser Jahr. Das hat mich zum einen angeregt wieder mehr zu erzählen, als die Antwort über die übliche Frage „wie war‘s?“, und vielleicht einen Foto- und Erzählabend für Familie, Freunden und insbesondere meinen Förderkreis zu veranstalten. Wie ihr die Idee findet könnt ihr hier ja gerne kommentieren…

Zum anderen wurde ich aber auch zum Nachdenken angeregt, durch das erneute Thema Rassismus, das schon in der Vorbereitung auf dem Programm gestanden hatte. Meine Definition – und ich schätze so ist die Definition der meisten Menschen die sich mit diesem Thema nicht tiefer befasst haben – war die Ausübung von physischer oder psychischer Gewalt gegenüber Anderen aufgrund deren Herkunft, Hautfarbe, Religion, etc. Fazit: Ich bin eindeutig kein Rassist und ich schätze du der das gerade hier liest wahrscheinlich auch nicht. Eine etwas komplexere, vollständigere  Definition von Rassismus, mit der wir uns auf dem Seminar beschäftigten geht jedoch viel weiter. Rassismus ist ein Abgrenzen zweier Gruppen durch Zuschreiben bestimmter (gegensätzlicher und gewerteter) Eigenschaften. Dabei wird jemand, den wir (ja wir, auch ich und du) in die als „anders“ betrachtete Gruppe einordnen, nicht als Individuum gesehen sondern als Element der Gruppe verallgemeinert. Außerdem schließen die Eigenschaften der beiden Gruppen einander gegenseitig aus. So kann ein Schwarzer/eine Schwarze nicht deutsch sein… Hast du noch nie Schwarzen/eine Schwarze gesehen und dich gefragt wo er/sie herkommt? Ich schon. Hättest du Stuttgart/Leipzig/Rödermark… als Antwort gelten lassen? Ups, rassistische Struktur in meinem eigenen Denken entdeckt. Und noch mehr davon gibt es im alltäglichen Sprachgebrauch: Was ist beispielsweise der Unterschied zwischen einem Einheimischen und einem Bürger? – die Assoziationen, die die Wörter hervorrufen. Beim Wort Einheimischer denke ich an Menschen, deren Verhalten und Traditionen ich nicht teile oder verstehe, die in primitiven Verhältnissen leben, vielleicht in einer Hütte, im ländlichen Raum. Ein Bürger, der hat Bürgerrechte. Seine Hütte nenne ich ein Haus und er wohnt in der Stadt. Er feiert Weihnachten, er isst mit Messer und Gabel. Das als Tradition zu beschreiben kommt mir nicht in den Sinn, ist doch ganz normal. Würde ich einen Weißen einen Einheimischen nennen? Nein, weil es nicht in das schwarz-weiß-Muster passt, das in unseren Köpfen existiert, auch wenn wir das vielleicht gar nicht wollen.

Ich muss zugeben mich macht diese Rassismusdiskussion immer total fertig. Wenn ich mich darauf einlasse, merke i ch, wie sehr auch mein Denken rassistisch geprägt ist. Kann das denn sein, wenn ich mich als toleranten, weltoffenen Menschen sehe?!? Abwehrmechanismen (Nö, ich bin nicht rassistisch!) setzen gleichzeitig ein mit dem Bedürfnis meinen ganzen Blog zu überarbeiten und den Rassismus auszumerzen. Wie Rassismus in meinem Blog? Der ist doch so schön authentisch! Nein, denn jeder Bericht ist subjektiv und geprägt vom persönlichen und kulturellen Hintergrund, also auch von rassistischen Denkmustern.  Und trotzdem habe ich oft von Mexiko gesprochen, als wäre ich eine Expertin, obwohl ich doch auch nur in begrenzter Zeit einen begrenzten Ausschnitt dieses Landes kennengelernt habe und das Land sowieso ganz anders wahrgenommen habe, als jemand der dort geboren wurde. Und wie oft habe ich Mexiko (oder den mir bekannten Teil davon) exotisiert, ihm positive Eigenschaften zugeschrieben, es scheinbar aufgewertet, doch gleichzeitig von dem was für mich „deutsch“ ist abgegrenzt, ein ganzes Land reduziert auf Spontanität, Wärme und ländliche Idylle?

Das sind nur einige Beispiele, die kurz Anreißen sollen, was wir auf dem Seminar an Material gelesen haben und welche Gedanken ich mir dazu gemacht habe. Ich bin auch unsicher, ob der Ansatz bzw. das Problem klar geworden ist . Ich freue mich aber über Nachfragen und Diskussionen zu dem Thema, gerne privat oder auch hier im Blog, denn ich will versuchen mich damit bewusster auseinanderzusetzen, anstatt mich darauf auszuruhen, von Rassismus nicht beeinträchtigt zu sein.

Das sollte jedoch nicht das einzige Thema sein, das mich an diesem Tag bewegte. Denn am Nachmittag hielt Mai, eine der Freiwilligen, einen Workshop zum Thema Welthunger beziehungsweise dessen strukturellen Ursachen ab. Es ging um Lebensmittelspekulationen an der Börse, die zu tatsächlich mörderischen Preisschwankungen führen, um europäische Agrarsubventionen, durch die diese Produkte außerhalb Europas günstiger also attraktiver werden als lokale Produkte und somit lokale Märkte zerstören. Es ging um die mit Krediten vom internationalen  Währungsfond verbundenden Verpflichtungen zum Öffnen des Marktes, von dem wiederum vor allem der globale Norden (weithin als Industrienationen bekannt) profitiert, aber auch um den steigenden Fleischkonsum, denn um 1kg Fleisch zu produzieren, braucht es etwa 16kg Getreide und noch viel mehr Wasser. Nahrungsmittel, die viel effektiver genutzt wären, würden sie direkt verzehrt. Hauptaussage der Präsentation: Hunger muss nicht sein. Die Rohstoffe auf der Erde reichen aus um die gesamte menschliche Bevölkerung zu ernähren. Das Problem liegt also in der Verteilung, in der der globale Norden zum eigenen Vorteil überproportionale Anteile abgreift.

Nach einem solchen Tag war dann abends erst einmal Abschalten angesagt. Das Seminar sollte wie immer mit einer Party beendet werden. Musik aus unserer Zeit in Mexiko versetzte mich zeitweise zurück nach dort.

Doch schon kam Tag 5 – Putztag! Und leider auch Abschiedstag. Ich hoffe allerdings, dass es bei vielen, vor allem der Mexiko-Truppe, nicht das letzte Mal gewesen sein wird, dass wir uns sehen, auch wenn der offizielle Teil des weltwärts-Programmes mit diesem Seminar abgeschlossen ist.

Und wie geht es mir danach? Wie geht es weiter mit der Entwicklungspolitik und mir? So ganz weiß ich das auch noch nicht. Während des Seminars habe ich mich gefühlt wie ein Schwamm, der alles an Informationen, Ansätzen und Ideen mitgenommen hat, das sich anbot, wie man vielleicht auch an diesem Blogeintrag merkt. Und jetzt? Jetzt bin ich doch noch nicht zu viel gekommen. Nun gut, ich habe meinen Fleischkonsum drastisch heruntergefahren, wer weiß vielleicht werde ich sogar demnächst komplett Vegetarierin. Weiter informiert zum Thema Welthunger oder Rassismus habe ich mich (noch) nicht, und am Seminar, zur Ausbildung zum weltwärts-Seminarleiter habe ich mich aus Zeitgründen auch nicht angemeldet, das möchte ich aber bei der nächsten Gelegenheit nachholen. Bei der Regionalgruppe, von der ich, wie hier im Eintrag berichtet, auf dem Seminar erfahren hatte, habe ich mich gemeldet. Die „Gruppe“ besteht derzeit allerdings nur aus einem Mitglied, da die anderen weggezogen sind. Aber wer weiß vielleicht entwickelt sich daraus ja doch noch etwas.  (Wenn ja steht‘s hier zuerst!) Und dann bleibt da ja noch die Idee, einen Bilder- und Erzählabend zu veranstalten… ich bleibe dran. Genauso wie an Mexiko. Mit meinen Gastfamilien und Freunden stehe immer noch in Kontakt und ich freue mich auf den Tag an dem es mich erneut nach Michoacán verschlägt.