Dienstag, 4. Juni 2013

Was ich vermissen werde...

Lucia fragt:
"Was meinst du, was wirst du am meisten vermissen, wenn du wieder hier bist? Oder welche Ansichten und Einstellung haben sich verändert, woran wirst du dich erst wieder gewöhnen müssen?"

Danke Lucia, da hast du genau den wunden Punkt getroffen, denn es vergeht mittlerweile kaum noch ein Tag, an dem ich nicht erschrocken nachrechne, wie viel Zeit mir noch bleibt oder leise aufseufze, wenn ich mich wieder etwas daran erinnert wie sehr ich dieses Land und seine Leute vermissen werde.

Punkt 1 - Leute
Da gibt es diese Momente,in denen ich mit meiner Gastfamilie am Tisch sitze, wir Witze machen, entscheiden einen Film zu schauen und jemanden zum Popcorn kaufen schicken oder wie Flip-Flop-Fußball spielend oder vorm durchgekitzelt werden fliehend durch die dafür eigentlich zu kleine Wohnung rennen. Diese Momente in denen ich feststelle, dass diese Menschen innerhalb kürzester Zeit meine Geschwister geworden sind und ich noch weit länger als zwei Monate mit ihnen aushalten würde.

Diese Nachmittage, an denen ich für ein paar Stunden zurück zu meiner alten Gastfamilie nach Huecorio fahre und merke, dass ich auch hier immer herzlich Willkommen bin.

Diese Tage an denen ich wegen Halsschmerzen nicht in die Orchesterprobe gegangen bin, zuhause saß und das Orchester schon zu vermissen begann, bis mich nach Probenende einer nach dem anderen auf Facebook anschrieb, fragte wie es mir ginge, wann ich wieder in die Probe käme und wie sie mich vom krank sein ablenken könnten.

Der Gedanke mich von all diesen Personen bald auf unbestimmte Zeit, vielleicht für immer verabschieden zu müssen ist traurig. Ja, ich glaube Freunde und (Gast-)Familie sind, was ich am meisten vermissen werde. Ist übrigens auch, was ich von Deutschland am meisten vermisse.

Punkt 2 - Essen!
Themawechsel um 180° - deutsches Essen habe ich nämlich nie wirklich vermisst. Gut, am Anfang mal so eine schöne scheibe Körnerbrot mit Salami oder Frischkäse oder so, aber mittlerweile haben sich meine Essgewohnheiten so sehr geändert, dass ich mit kaltem Essen kaum noch etwas anfangen kann. Mexikanisches Essen hingegen werde ich vermissen! Es ist nicht umsonst von der UNESCO als Weltkulturerbe anerkannt.

Wie soll ich also in Zukunft Essen, so ohne Tortilla (dünne Maismehlfladen, so wie Wraps nur dass die für gewöhnlich ausWeizenmehl sind)? Etwa mit Messer und Gabel? Und keine Tortilla bedeutet eben nicht nur keine Tortilla als Beilage sondern auch die Unmöglichkeit ganzer Gerichte wie Tacos (kleine Tortillas mit Fleisch und Salsa drauf), Enchiladas (mit Salsa eingeweichte Tortillas, dann um Fleisch und/oder Gemüse gewickelt, angebraten und schließlich mit Salat und Crema (etwa wie Crême frâiche) oben drauf serviert), Tacos dorados (wie Enchiladas aber ohne das charakteristische Einweichen, daher knuspriger) oder Chilaquiles (frittierte Tortillastückchen mit Chilisauce).

Auch die richtigen Chilisorten zum Nachkochen der Gerichte könnten in Deutschland schwierig zu finden sein und den Kauf von Mangos oder Avocados in Deutschland sehe ich bei doppeltem Preis und halber Geschmacksqualität auch nicht so ganz ein.

Schön hier ist auch, dass spätestens abends an jeder Straßenecke Essen verkauft wird und das meistens gut und günstig. Ob in einem richtigen Restaurant, am Straßenstand oder im Hof eines Wohnhauses. So viele Möglichkeiten mitten im Wohngebiet - in Deutschland Fehlanzeige.

Was ich auch vermissen werde: Eine erfrischende Michelada gegen die Hitze: Bier mit Zitrone, Salz, Tomatensaft und Chili-Salz-Pulver im Getränk so wie am Glasrand. Klingt eklig? Ist es beim ersten Probieren auch, aber später stellt man fest: Es ist genial!


Ich glaube nicht, dass ich Tequila ernsthaft vermissen werde, aber ich finde es passt hier gerade ganz gut anzumerken, dass wer schon mal richtigen Tequila getrunken hat weiß, dass unser "Sierra"-Tequila in Deutschland ziemlicher Müll ist und mit gutem Tequila nicht zu vergleichen.

Punkt 3 - Lebensweise
Dass alles tendenziell etwas weniger hektisch, lockerer und weniger durchgeplant abläuft kann manchmal unglaublich ineffizient wirken, aber auch schön entspannend sein.

Entspannend zum Beispiel beim Einkaufen. Während der "Tante-Emma-Laden" in Deutschland so gut wie ausgestorben ist, läuft man hier bestimmt nie länger als fünf Minuten bis zur nächsten "tienda". In Deutschland könnte man vom Ertrag eines solchen Supermarktketten-unabhängigen Geschäftes wahrscheinlich gar nicht leben, zumindest kaum besser als von Hartz IV. Auch hier frage ich mich bei der einen oder anderen "tienda", ob sich das Geschäft lohnt, aber Fakt ist, eine mit Hartz IV vergleichbare Alternative existiert nicht. So also ist es hier überhaupt kein Problem, wenn man beim Großeinkauf (auf dem Markt) mal was vergessen hat, denn wenn es an Kleinigkeiten fehlt läuft man eben schnell zur "tienda". Tja und immer, wenn ich mit einer Packung Saft und zwei Tomaten oder Toastbrot und Waschmittel von der "tienda" nach Hause laufe, merke ich, dass ich diese Bequemlichkeit eigentlich nicht mehr missen möchte.

Naja und dann ist da noch diese Offenheit der Leute, viel mehr als in Deutschland, die es selbst mir, die ich nicht direkt schüchtern oder verschlossen aber einfach recht ruhig bin, unglaublich einfach macht Leute kennenzulernen und Freunde zu finden. Ja selbst diese Momente in denen du mit jemandem tanzt, den du gerade eben erst kennengelernt hast (und obwohl du eigentlich auch gar nicht tanzen kannst) werde ich vermissen.

Fazit: Woran ich mich in Deutschland erst wieder gewöhnen muss:
Als ich vor einem knappen Jahr nach Mexiko kam, kam ich offen für alles Neue, Unbekannte, eifrig alles aufzunehmen was mir begegnete. Ich glaube, das war viel einfacher als jetzt zurückzukehren zum Altbekannten, von dem ich mich dennoch etwas entfremdet habe.

Ich weiß nicht ob ich die ganzen kleinen Zeichen von Luxus - Waschmaschine, Spülmaschine, warmes Wasser ohne vorher einen Boiler anzumachen, Elektroherd, eigenes Zimmer, etc. - mehr zu schätzen wissen werde. Wahrscheinlich wird das alles wieder viel zu schnell ganz normal, genauso wie die seltsamen deutschen Essenszeiten (ja, aus mexikanischer Sicht sind die wirklich seltsam) oder viel zu hohe Preise, vor allem für Lebensmittel und Transport, und die natürlich in Euro - wie sahen diese Scheine und Münzen nochmal aus?

Aber ich glaube ich habe auch gelernt zu schätzen, dass ich aus einem Land komme und in einem Land leben werde in dem man in fast allen möglichen Aspekten sicherer ist. Wo man auf den Rechtsstaat vertrauen kann und das organisierte Verbrechen kein Machtfaktor ist. Einem Land, in dem die Kriminalitätsrate gering ist. (Auch wenn mir hier nie etwas passiert ist, mir nicht ein Peso weggekommen ist, was ich schon an Geschichten von Raub, Mord und Entführungen gehört habe.. puuuh ihr wollts gar nicht wissen.) Zudem einem Land, in dem es von staatlicher Seite soziale Sicherheit gibt - Unterstützung im Fall von Krankheit, Arbeitslosigkeit, etc. All das ist nicht selbstverständlich.

Dass sich meine Sichtweisen groß verändert, im Sinne von widerlegt und umgekehrt haben, kann ich nicht sagen. Sie haben sich viel mehr durch neue Erkenntnisse erweitert oder aber gefestigt, sodass ich mich jetzt gleichzeitig flexibler und selbstsicherer, aber nicht in sich verändert fühle. Ist das verständlich ausgedrückt? Ich glaube so richtig feststellen oder vielleicht auch an einem Beispiel festmachen können werde ich das erst zurück in Deutschland. Wer weiß ob ich euch verändert vorkomme... ich hoffe wenn nur positiv!

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